Die Erweiterung des eigenen Wohnraums durch den Kauf einer Nachbarwohnung und einen anschließenden Wanddurchbruch erscheint auf den ersten Blick einfach. Doch in der Praxis stoßen solche Vorhaben häufig auf Widerstand innerhalb der Wohneigentümergemeinschaft (WEG). Während das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) seit 2020 niedrigere Hürden für bauliche Maßnahmen vorsieht, zeigen aktuelle Gerichtsentscheidungen wie das Urteil des Landgerichts (LG) Itzehoe vom 4. März 2022 (Az. 11 S 37/20), dass die Umsetzung klarer Vorgaben bedarf.
Rechtliche Hürden im Wandel; Gemeinschaftseigentum als zentraler Konfliktpunkt
Tragende Wände und andere strukturrelevante Bauteile zählen zum Gemeinschaftseigentum der WEG. Da Eingriffe hier die Statik und Sicherheit des gesamten Gebäudes beeinflussen können, bedurfte es bis 2020 einer einstimmigen Beschlussfassung für derartige Veränderungen. In konfliktbeladenen Gemeinschaften führte dies regelmäßig zum Stillstand von Projekten.
Reform 2020: Mehr Pragmatismus durch einfache Mehrheit
Die WEG-Reform ermöglicht seit Dezember 2020 einfache Mehrheitsbeschlüsse (§ 20 Abs. 1 WEG). Selbst wenn keine Mehrheit zustande kommt, kann ein Eigentümer nach § 20 Abs. 3 WEG die Gestattung verlangen, sofern:
- Die Beeinträchtigungen für andere Eigentümer geringfügig ausfallen.
- Fachgutachten zu Statik, Brandschutz und Versicherungsfolgen vorliegen.
LG Itzehoe-Urteil: Präzedenzfall für Antragsqualität
Sachverhalt und gerichtliche Bewertung
Im entschiedenen Fall beantragte eine Eigentümerin die Zusammenlegung zweier Wohnungen via Wanddurchbruch, ohne konkrete Pläne oder Gutachten vorzulegen. Während das Amtsgericht dies noch billigte, hob das LG Itzehoe die Entscheidung aus zwei Gründen auf:
- Fehlende Konkretisierung: Die exakte Position und Größe des Durchbruchs war nicht definiert.
- Nachträgliche Bedingungen: Ein Vorbehalt, dass Nachweise erst während der Bauphase erbracht werden, ist unzulässig.
Konsequenzen für Antragsteller
- Präzise Planung: Architektonische Skizzen und bautechnische Spezifikationen müssen vor der Beschlussfassung vorliegen.
- Vollständige Gutachten: Statikerbestätigungen und Brandschutznachweise dürfen nicht nachgereicht werden.
Rolle der WEG-Verwaltung: Beratung vs. Verantwortung
Grenzen der Unterstützungspflicht
Zwar obliegt die Formulierung von Anträgen grundsätzlich den Eigentümern, doch Verwalter sollten auf formale Mängel hinweisen. Eine Haftung für unvollständige Unterlagen besteht jedoch nicht.
Aktuelle Ergänzungen zum Verwaltungshandeln
Seit 2023 können Eigentümer die Bestellung eines zertifizierten WEG-Verwalters verlangen (§ 26a WEG), der höhere Expertise bei der Prüfung von Bauanträgen garantieren soll.
Privilegierte Maßnahmen nach § 20 Abs. 2 WEG
Seit Oktober 2024 gelten Steckersolargeräte („Balkonkraftwerke“) als privilegierte Vorhaben. Diese können ohne Mehrheitsbeschluss umgesetzt werden, sofern sie:
- Die Gebäudesubstanz nicht beeinträchtigen.
- Normgerecht installiert werden.
Praktische Empfehlungen für Eigentümer
- Frühzeitige Abstimmung: Klären Sie Vorbehalte in informellen Gesprächen, bevor Sie einen formellen Antrag stellen.
- Professionelle Begleitung: Beauftragen Sie Architekten und Sachverständige bereits in der Planungsphase.
- Kostenkalkulation: Berücksichtigen Sie neben Baukosten auch mögliche Folgekosten wie erhöhte Versicherungsbeiträge.
Fazit
Die gesunkenen Hürden für bauliche Veränderungen bieten Eigentümern neue Möglichkeiten, setzen jedoch detaillierte Vorbereitung voraus. Das LG Itzehoe-Urteil unterstreicht, dass Halbherzigkeiten in der Antragstellung zum Scheitern führen. Mit präzisen Plänen, vollständigen Gutachten und – wo nötig – mediativer Konfliktlösung lassen sich selbst ambitionierte Projekte realisieren.